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Datum24.3.2001
BlattHannoversche Allgemeine
TypBericht
vonHerdis Lüke


Auf Draisinentour um Ratzeburg

Der Fahrtwind saust, Sträucher und Gräser fliegen vorbei, und nach 18 Kilometern ist man in Schweiß gebadet: Die Fahrt in einer Handhebeldraisine auf den Gleisen der alten "Rübenbahn" vom Erlebnisbahnhof Schmilau zum Jugendbahnhof Hollenbek (Kreis Herzogtum Lauenburg) erfordert Teamgeist und Muskelkraft.

Als Dank für das Schweiß treibende Abenteuer gibt es aber nicht nur Muskelkater, sondern Spiel und Spaß für die Besucher. Beim Anblick des alten Mitropa-Schlafwagens und den zu gemütlichen Appartments ausgebauten Eisenbahn-Bauwagen kommen bei manchem alten Eisenbahner die Tränen, wie Oliver Victor erzählt. Er ist Initiator und Geschäftsführer der "Kultur-Bahnhof Ratzeburg GmbH".

Dabei hatte der 35-jährige niemals daran gedacht, Lokführer zu werden. Der Computerspezialist war es 1994 leid, stets im dunklen Keller zu sitzen und an Softwareprogrammen zu tüfteln. Dass er auf die Schiene kam, war eher "ein Zufall". Ich wollte im Bereich Kultur und Veranstaltungen etwas machen. Dafür hatte ich mir den alten Lokschuppen in Ratzeburg ausgeguckt." Und da gab es ein Problem: "Man kam da nicht richtig rein, außer über die Schienen." Und so war die Idee mit der Draisine geboren. Aber Ratzeburg war ihm dann "zu tüddelig", und so fasste er Schmilau ins Auge. Bereits im Juni 1994 konnte er sein erstes Draisinen-Sommerfest mit 1500 begeisterten Gästen in Schmilau feiern.

Richtig los ging es im Mai vergangenen Jahres, als Victor die erste Gästegruppe unterbringen und die Tourismussaison mit 256 Gästegruppen, 3000 Besuchern und 5500 gefahrenen Kilometern abschließen konnte: Tendenz steigend: Allein in diesem Jahr kamen 4500 Gäste.

Um die Gäste kümmern sich Praktikanten, die aus der ganzen Bundesrepublik kommen.
"Bis es soweit war, habe ich allerdings fast graue Haare bekommen." Victor ging fleißig "Klinken putzen". "Die meisten Leute hielten mich für verrückt", erzählt er. Aber schließlich hat er doch Geldgeber gefunden, und der Pachtvertrag mit der Deutschen Bahn konnte im Juli 1998 nach langwierigen Verhandlungen endlich unterschrieben werden.

Stets ein Optimist, hatte er zu dem Zeitpunkt bereits fünf Draisinen bauen lassen, elf Eisenbahnwaggons angeschafft und mit seinem Mitarbeiter Martin Rienecker angefangen, diese zu restaurieren und umzubauen. Der 33-jährige ist für die künstlerische Gestaltung beider Bahnhöfe zuständig. Alles, was dort steht, hat irgendwie mit Eisenbahn zu tun. So hat der Formenbauer alte Loren zu Büfettwagen umgebaut, gefällte Pappeln zu einer Holzeisenbahn verarbeitet, die als Begrenzung dient, Schwellen und Gleise als Dekoration durchs Gelände gelegt und phantasievolle Figuren aus Schrott dazu in die Erlebnislandschaft gestellt.

1999 begann dann der Ausbau des alten Rübenbahnhofs Hollenbek zum Jugendbahnhof. Dafür organisierte Victor Jugendcamps, die dort arbeiten und gleichzeitig ein umfassendes Erlebnis- und Kulturangebot in der Region geboten bekommen. Elf weitere Waggons hat er für Hollenbek angeschafft, in denen die Gäste schlafen und essen können, in eigenen Küchenwaggons kann gekocht, in anderen Tischtennis gespielt werden. Integriert ist eine Vermietung von Fahrrädern und Wasserfahrrädern, und zum Kulturprogramm für Besucher und Feriengäste gehören neben den Draisinentouren (etwa zum Brotbacken und zum Käsen) zahlreiche Workshops, Nachtfackelzüge und Nachtwanderungen, Musik und Kleinkunst, Grillfeste, Kino und Theater. Für sportliche Spaßvögel stehen zielgenaues Schienen- und Teebeutelwerfen auf dem Programm.

Neu ist ein sechssitziges Fahrrad, bei dem die Fahrer alle treten können, im Kreis sitzen und einer das Lenkrad in die Hand nimmt. Das rote, 100 Kilogramm schwere Gerät ist Teil der Drei-Muskel-Tour, bei der nach der Schienenfahrt Rad fahren und Paddeln im Programm stehen.